Gedichtanalyse: „Abend“ von Andreas Gryphius

Das Gedicht „Abend“ von Andreas Gryphius gehört zu den bekanntesten Barockgedichten und reflektiert auf eindrucksvolle Weise die typischen Themen der Barockliteratur: Vergänglichkeit, Lebensendlichkeit und menschliche Fragilität. Es wurde im Jahr 1643 geschrieben, zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, der viele Menschen in Europa geprägt und verstört hatte. Das Gedicht ist ein Sonett, also ein Gedicht mit 14 Versen, das im Petrarca-Form verfasst ist.

1. Form und Aufbau

„Abend“ ist ein Sonett, das aus zwei Quartetten (vierzeiligen Strophen) und zwei Terzetten (dreizeiligen Strophen) besteht. Diese klassische Struktur ist typisch für die Barockzeit, da sie Ordnung und Harmonie vermittelt. Die Reimstruktur des Gedichts ist abba abba cdc cdc, was die strenge Form des Sonetts betont.

2. Inhalt des Gedichts

Das Gedicht beschreibt den Abend, der im übertragenen Sinne für das Ende des Lebens steht. Im ersten Quartett wird der Übergang vom Tag zur Nacht thematisiert. Der Abend wird als ein Symbol für das Lebensende dargestellt, und die Dämmerung zeigt die Vergänglichkeit des irdischen Daseins. Das Bild der untergehenden Sonne und die bleibende Dunkelheit sind Zeichen für das unausweichliche Vergehen der Zeit.

Im zweiten Quartett wird die dunkle Stunde des Abends mit dem Vergangensein des Lebens verglichen. Die Welt wird als vergänglich und die menschliche Existenz als flüchtig beschrieben. Der Abend steht als Metapher für den Tod – der endgültige Übergang von Leben zu Nichtsein. Die Dämmerung wird als „Schattenspitze“ bezeichnet, die den kommenden Tod ankündigt.

In den beiden Terzetten vertieft Gryphius seine Reflexion über den Tod und das vergängliche Leben. Das Gedicht endet mit der Mahnung, das Leben zu nutzen und den Tod zu akzeptieren, da dieser unvermeidlich ist.

3. Sprachliche Mittel

  • Metaphorik: Das zentrale Bild des Gedichts ist die Metapher des Abends als Symbol für den Tod. Die Dämmerung, die Sonne, der dunkle Schatten und der Abend sind alle Metaphern für das Lebensende.

  • Personifikation: In der Zeile „Die Sonne neiget sich zum Sterben“ wird die Sonne personifiziert, was den Tod als natürlichen und unvermeidlichen Vorgang darstellt.

  • Wiederholung: Das Bild der „Dämmerung“ und des „Abends“ wird immer wieder verwendet, um den unaufhaltsamen Übergang vom Leben zum Tod zu betonen.

  • Antithesen: Es finden sich immer wieder Gegenüberstellungen von Licht und Dunkelheit – Leben und Tod, die das zentrale Thema der Vergänglichkeit widerspiegeln.

4. Themen und Motive

  • Vergänglichkeit des Lebens: Ein zentrales Thema des Gedichts ist die Vergänglichkeit des irdischen Lebens. Der Abend symbolisiert das Ende des Tages, ebenso wie der Tod das Ende des Lebens darstellt.

  • Carpe Diem (Nutze den Tag): Trotz der trüben Auseinandersetzung mit dem Tod fordert das Gedicht den Leser indirekt auf, den Augenblick zu nutzen, da das Leben schnell und unaufhaltsam vergeht.

  • Vanitas-Motiv: Das Gedicht steht in der Tradition des Vanitas-Motivs, das die Bedeutungslosigkeit und Vergänglichkeit aller irdischen Dinge betont. Es erinnert daran, dass Wohlstand und irdische Freude nur von kurzer Dauer sind.

  • Trost durch Akzeptanz des Todes: Am Ende des Gedichts wird der Tod nicht nur als unausweichlich, sondern auch als eine Art Befreiung vom irdischen Leiden dargestellt.

5. Interpretation

Das Gedicht „Abend“ von Andreas Gryphius ist eine typische barocke Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit des Lebens. Der „Abend“ steht hier nicht nur für den natürlichen Tagesablauf, sondern ist auch eine tiefere Reflexion über das menschliche Leben und den unaufhaltsamen Tod. Gryphius verwendet klassische barocke Mittel wie Metaphern und Personifikationen, um den Verfall und das Ende zu verdeutlichen. Zugleich fordert er den Leser auf, das Leben im Angesicht des Todes zu wertzuschätzen und die Endlichkeit des Lebens zu akzeptieren.

Das Gedicht vermittelt die barocke Weltsicht, dass das Leben vergänglich ist und dass der Tod unausweichlich ist. Es ruft dazu auf, sich dieser Wahrheit bewusst zu werden und ganz im Einklang mit der Vergänglichkeit zu leben.


6. Fazit

„Abend“ ist ein starkes Beispiel für die barocke Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit des Lebens und dem unvermeidlichen Tod. Andreas Gryphius nutzt die bildhafte Darstellung des Abends, um die existenziellen Themen der Zeit zu erfassen. Das Gedicht ist sowohl erhebend als auch bedrückend, da es den Leser an die Endlichkeit seines Daseins erinnert und gleichzeitig eine gewisse Akzeptanz und Ruhe im Angesicht des Todes fordert.


Wenn du Fragen zur Analyse hast oder weitere Gedichte aus dem Barock vertiefen möchtest, stehe ich gerne zur Verfügung!

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